Ursula Wolf: Die Moral generalisierten MitleidsI. Einleitung II. Zur Person Ursula Wolf III. Ursula Wolfs Kritik an bestehenden Moraltheorien IV. Ursula Wolfs Gegenentwurf: Die Moral generalisierten
Mitleids V. Folgerungen VI. Literaturverzeichnis
I. Einleitung Ursula Wolfs Buch "Das Tier in der Moral" ist eines der ersten deutschsprachigen Bücher, das aus der jüngsten akademischen Diskussion über Tierethik hervorgegangen ist. Am Anfang des Buches geht sie zu einer kurzen Skizzierung und Kritik der weitverbreitesten Moraltheorien über, z.B. Vertragstheorien, die Moral bei Kant und Schopenhauer, dem Utilitarismus, u.a., und untersucht jene insbesondere bezüglich der Position, die Tiere darin einnehmen. Aufbauend auf dieser Kritik stellt sie ihre eigene pathozentrische (eine die Leidensfähigkeit in den Mittelpunkt stellende) Theorie dem Leser/der LeserIn vor, den Standpunkt des generalisierten Mitleids, der Elemente von Kant, Schopenhauer und des klassischen Utilitarismus enthält, ohne jedoch den Schwächen dieser Positionen zu erliegen. Wichtig ist der Autorin dabei der Status der liberalen Moral, der ohne metaphysische Annahmen über Werten operiert. II. Zur Person Ursula Wolf Ursula Wolf wurde 1951 in Karlsruhe geboren, studierte in Heidelberg
Philosophie und Klassische Philologie. Weiteres Studium der Philosophie
in Oxford und Konstanz von 1978 bis 1980, Übersetzungstätigkeit
in freier Mitarbeit beim Suhrkamp-Verlag. Von 1980 bis 1987 zuerst als
Assistentin, dann als Professorin auf Zeit an der FU Berlin beschäftigt.
1987-1989 Professur am Fachbereich Philosophie der Universität
Frankfurt. Ab 1989 war sie Professorin für Philosophie an der FU
Berlin. Zur Zeit ist Ursula Wolf als Dozentin an der Universität
Mannheim tätig. III. Ursula Wolfs Kritik an bestehenden Moraltheorien 1. Vertragstheorien (Kontraktualismus) Die Grundidee des Kontraktualismus geht von isolierten Individuen
aus, die ausschließlich ihr Eigeninteresse verfolgen. Um das Zusammenleben
untereinander zu optimieren werden Normen gesetzt durch die, wenn sie
insgesamt befolgt werden, jedeR mehr gewinnt. 2. Immanuel Kant Kant sieht den Menschen als vernünftiges Wesen, im Sinne davon,
daß er autonom, nach selbstgegebenen Gesetzen leben kann und sich
daher sein Leben als Zweck an sich vorstellt. Den Rest der natürlichen
Ordnung sieht Kant als etwas an, das existiert um menschlichen Interessen
zu dienen. 3. Tom Regan Das Fundament der Reganschen Theorie bildet das Gleichheitsprinzip.
4. Peter Singers Utilitarismus Der Utilitarismus ist eine der wenigen Moralphilosophien, die Tiere schon immer in ihre Moralkonzeption miteinbezogen haben. Das Grundkonzept des Utilitarismus besteht darin, daß Schmerzen und Leiden schlecht und Lust und Glück gut sind und daß es in der Moral darum geht, das eine zu verhindern oder zu verringern, das andere zu vermehren. Die Moral baut hier also nicht auf dem Begriff der Pflicht oder des Rechts auf, sondern sie ist definiert durch das Ziel moralischen Handelns. Sonderbar wird es erst bei der Weiterführung dieser Gedanken, wie es Peter Singer mit seinem sog. Präferenz-Utilitarismus tut, wonach es um die Maximierung des Gesamtinteresses bzw. des Gesamtglücks über die Individuengrenze hinaus geht. Dabei ist es durchaus einkalkuliert, daß zur Erreichung des maximalen Gesamtglücks einzelne Individuen dem Gesamtnutzen geopfert werden. Und genau hier setzt Ursula Wolfs Kritik am Utilitarismus Singers an. Dies widerspreche nicht nur der Kantischen Theorien, sondern ebenso der Alltagsmoral, zu der die Vorstellung gehört, daß bestimmten Wesen kraft bestimmter Eigenschaften ein Wert zukommt, in dem sie zu berücksichtigen sind. Zudem wird bei Singer der gleiche moralische Standpunkt der Tiere vorausgesetzt, wird aber in keiner Weise begründet. Zwar gibt es noch Argumentationsspielraum um der Moral im Bezug auf Tieren die gleiche Stärke zukommenzulassen, dies wird aber in Singers Konzeption nicht gemacht und bleibt somit eine unbegründete Voraussetzung. 5. Schopenhauers Mitleidsmoral Schopenhauers Mitleidsmoral bildet praktisch die Grundbestandteile der Theorie Ursula Wolfs. Schopenhauer, der einer Moral nicht Eigennutzen, sondern viel mehr Altruismus sieht, baut auf dem alltäglichen Phänomen des Mitleids auf. Anders als UtilitaristInnen ist die Mitleidsmoral eine individualistische Moral bei der es um das "Wohl und Wehe" einzelner Lebewesen geht. Schopenhauer geht eher vom negativen im Leben aus, dem Leid bzw. dessen Vermeidung, in dem einfachen Sinn andere nicht unglücklich zu machen und ihnen im Unglück zu helfen. Doch Wolf kritisiert auch hier, daß jemand, der eine Einstellung ausgedehnten Mitleids hat, könnte gleichzeitig die Einstellung haben, daß Menschen ungleich wichtiger sind als Tiere - mit der Folge, daß die Moral gegenüber Tieren ein geringeres Gewicht hätte. In der Tat bleibt die Frage er Gewichtung auch bei Schopenhauer offen. 6. Tugendmoral Moraltheorien, die die Einbettung der Moral in die umfassendere Frage
des guten Lebens beachten, werden häufig in der Form vertreten,
daß sie nach einer kohärenten (zusammenhängenden) Beschreibung
des Moralischen im Kontext der weiteren Lebenseinstellungen suchen. IV. Ursula Wolfs Gegenentwurf: Die Moral generalisierten Mitleids 1. Die liberale Moral Damit eine Moral Allgemeingültigkeit einfordern kann, muß
sie argumentierbar und logisch sein und kann daher nicht auf nicht-beweisbaren
(metaphysischen) Annahmen aufbauen. In der Kritik der bestehenden Moraltheorien
(II.) sehen wir, daß diese, wie etwa Kant und Regan dennoch auf
metaphysischen Annahme (in deren Fall die absolute Wertigkeit der Vernunft)
basieren. 2. Der Begriff des Leidens Für Ursula Wolf erscheint es logisch anstatt eines willkürlichen
absoluten Werts, wie etwa das Teilhaben an der Welt der Vernunft (wie
etwa Immanuel Kant) eine andere Basis zu finden auf der eine Moraltheorie
gründen kann. 3. Generalisiertes (verallgemeinertes) Mitleid Bezug nehmend auf Schopenhauer betrachtet Wolf das Mitleid als geeignete
motivationale Grundlage moralischen Handelns, da es die individuelle
Leidensfähigkeit in den Mittelpunkt der Moral stellt. Zudem ist
es eine auf einen natürlichen Affekt basierende Einstellung und
bereits Bestandteil der vorhandenen Alltagsmoral. (Irgendwo sind die
meisten Menschen der Meinung, daß man Tieren oder anderen Menschen
nicht grundlos Schmerzen zufügen soll. In Anlehnung an den Moralphilosophen
Michel de Montaigne: "Sie [die Grausamkeit] ist einfachhin schlecht,
insofern das keiner Erklärung oder Begründung bedarf. Grausamkeit
stößt einfachhin und als solche ab, weil sie hässlich
ist.") Die Haltung der Rücksicht auf alle leidensfähigen Lebewesen würde bedeuten, daß diese ein Recht haben auf Berücksichtigung, das sie auch einfordern können. Im Zuge dessen ergibt sich die Verpflichtung für alle anderen in diesem Sinne zu handeln. 4. Differenzierungen unter Tieren Ursula Wolf differenziert zwischen Außer primitiven Formen tierlichen Lebens, d.h. Lebewesen gänzlich ohne oder ohne ein ausgebildetes Nervensystem (Bakterien, Schwämme, aber auch Muscheln) verfügen alle Tiere über Schmerzempfinden. D.h. sie sind im Besitz eines Nervensystems, das eine gewisse Konzentrationen aufweist und sind anpassungs- und lernfähig (Reagieren auf Reize). Sie können Teile ihres Verhaltens anpassen, was bedeutet, daß sie sich bewußt verhalten und subjektive Erlebnisse haben. 5. Moralische Verpflichtungen Moral hat gerade die Funktion, die Bedingungen zu schaffen, die für
die selbständige Suche des Individuums nach einem guten Leben notwendig
sind. Fügt man Tieren Schmerzen zu, sind diese Bedingungen für
ein erfülltes Leben nicht gegeben. ad a) Daraus folgt, daß wir die moralische Verpflichtung haben
allen leidensfähigen Tieren kein Leid zuzufügen. Zwar ist
es ein Faktum, daß kein Leben ohne Leid möglich ist, da man
im Zusammenleben mit anderen Individuen nicht auf alles Rücksicht
nehmen kann. Dennoch sind unvermeidliche Störungen moralisch unproblematisch,
weil sie andere Lebewesen nicht daran hindern, im ganzen ein angenehmes
Leben zu haben. Vom Standpunkt generalisierten Mitleids folgt, daß vieles, was
Menschen Tieren antun zweifellos unzulässig ist. Das gilt generell
für die Praxis der Massentierhaltung und des Tierversuchs. Denn
die so benutzten Tiere leben unter Bedingungen, die durchgängig
und systematisch ein Leben in subjektivem Wohlbefinden ausschließen.
Dieselbe systematische Verhinderung liegt vor, wo Tiere ihr Leben lang
in Zoos, Käfigen usw. eingesperrt werden. Im Fall von moralischen Konflikten zwischen Lebewesen ist natürlich immer das kleinere Übel zu wählen, d.h. eine punktuelle und vorübergehende Beeinträchtigung des Wohls ist beispielsweise weniger schlimm als eine vollständige Verhinderung des Wohls. Als Beispiel zutreffend wäre ein Konflikt zwischen dem Recht auf Unversehrtheit eines Versuchstiers und dem Recht auf sinnvolle Betätigung des Vivisektors. Letzterem bleibt immer noch die Möglichkeit, sich andere Betätigungen zu suchen. Mit Blick auf das geltende Tötungsverbot gegen Personen entwickelt Wolf die Feststellung, daß das Kriterium für ein Tötungsverbot das Weiterleben-wollen ist. Da bei weniger entwickelten Tieren notwendige Voraussetzungen dafür, wie etwa ein Zukunftsbezug und ein reflektiertes bzw. faktisches Todesbewußtsein fehlen, läßt Ursula Wolf die Frage des Tötungsverbots eher offen, solange wir noch zu wenig über die Fähigkeiten dieser Tiere wissen. Intuitiv würde sie aber das Weitermachen-wollen weniger entwickelter Tiere auch als Weiterleben-wollen interpretieren, unterlegt diese Annahme argumentativ allerdings kaum. Den Unterschied zwischen Menschen und anderen Tieren sieht Ursula Wolf wie viele andere im übrigen in der menschlichen Fähigkeit zur Moral und schließt ihr Buch mit dem Zitat: "Wir sind absolut besser als die Tiere, weil wir die Fähigkeit haben, auf ihre Interessen Rücksicht zu nehmen; also nehmen wir sie nicht." V. Folgerung Aus dem Entwurf der Moral generalisierten Mitleids würde im Grunde
die völlige Veränderung weitgehender Teile der bestehenden
Mensch-Tier Beziehung folgen. Es bleibt zu hoffen, daß sich Ursula Wolfs Position im Diskurs mit anderen TheoretikerInnen durchsetzt. Im Sinne der Tiere wäre es allemal.
VI. Literaturverzeichnis
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